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Bandinfo
Metropolis
vs. Suburbia: The Ford Broncos
Wahrscheinlich Bodennebel. Wahrscheinlich schmeckt eine kalte
Luft, die mehr Wasser ist, nach salzigem Dung. Wahrscheinlich
ist ein einsamer Baum, der irgendwo da draußen seine fahrig
frisierte Krone durch das Meer aus Watte reckt, das Einzige, was
den Mann am Fenster nicht an den letzten Urlaubsflug über
der Wolkendecke denken lässt. All das ist wahrscheinlich,
im Fadenkreuz zwischen Büsum, Elmshorn und Plön, wo
die Landschaft so platt ist, dass man gestern schon sehen konnte,
wer morgen zu Besuch kommt und der Misthaufen von Bauer Hinrich
ganz offiziell als höchste landschaftliche Erhebung kartographiert
wurde.
Das Land liegt da, wie ein feuchter, alles überspannender
Tiefkühlflokati und irgendwo da ganz hinten, wo sich Oben
und Unten im Nichts begegnen, muss ganz notwendig die Weltscheibe
ein Ende haben. In Äonen gedacht, ist all das hier Meer und
wird in naher Zukunft wieder zu Meer werden. Nasses Land, den
Menschen vom Wanengott Njörd für einen erdgeschichtlichen
Augenblick geliehen, darauf Schabernack zu treiben. Gefühlte
240-Stunden-Tage mit der Ereignisdichte einer Endlosschleife Tele-Tubbies.
Wer hier hingeboren wird, entwickelt ganz notwendig jenen viskosen
Zeitbegriff und sympathisch dickfelligen Fatalismus, der im Buck'schen
Epos "Karniggels" cinematographische Ehrung und mit
Brösels bräsigem "Werner" Einlass in die Weltliteratur
fand – oder wird schwachsinnig.
Hier, wo ein Freundeskreis leicht einen Durchmesser im zweistelligen
Kilometerbereich besitzt, in einem Land, das genauso so weit,
so feucht und so trist ist wie Montana (oh Montana!), nur viel
flacher, genau hier nimmt sich die Geschichte der FORD BRONCOS
ihren Anfang. Sechs Freunde gründen – wen wundert's
bei dieser Kulisse?! – eine Countryband.
All das ist wichtig. All das ist wichtig, um zu erklären,
warum die Band, deren Mitglieder sich unterdessen längst
auf Großstädte wie Hamburg, Kiel oder Santiago (de
Compostela) verteilen, warum die FORD BRONCOS auf ihrem Langspieldebüt
in Zwischenspielen immer wieder zum Bluegrass früher Tage
zurückfinden, als sie mit Waschbrett, Banjo und Brimborium
über Land zogen, um auf Plätzen und in Pinten den Hut
kreisen zu lassen. Während anhaltender Überlandfahrten
im verrosteten Kleinbus bei Dope und Dosenfutter holte sich die
Band jene Spielwut, die sich heute unter dem Einfluss der Metro-Polis
zum Indiepop-Spektakel der anderen Art verdichtet hat.
The Ford Broncos – 54°33’10°13’
(Hazelwood / Rough Trade)
Wie einst Camper van Beethoven auf ihrem unvergesslichen Album
"Telephone Free Landslide Victory" vermittels östlicher
Folklore, trennen THE FORD BRONCOS die Songs ihres Debütalbums
54°33’10°13’ durch kleine fanatische Bluegrass-Zwischenspiele,
vorgetragen mit soviel Verve, dass man glauben könnte, es
handle sich um eine waschbrettechte Red Neck-Bande, irgendwo aus
den Mountain States des mittleren Westens der USA.
Das alleine wäre eine Platte wert! Tatsächlich aber
sind die kleinen Lanside-Prätentiösen, wie schon im
Falle Van Beethoven, nichts anderes als eine humorvoll vorgetragene
Hommage an die eigenen Wurzeln. Die eigentlichen Tracks des Albums
entpuppen sich völlig überraschend als glitzernde Indierockpop-Schmetterlinge,
melodieversessen und mit jeder Menge Mut zur großen Geste.
Vieles erinnert an das Frühwerk des letzten großen
Gentleman-Poprockers Robert "Pressure Drop" Palmer zu
jener Zeit, als Klubs noch Klubs, Anzüge noch aus Satin und
Haarschnitte mitunter umfangreich waren. Dabei verlassen sich
die Broncos keineswegs auf die reine Verführungskraft des
Retro-Chics. 54°33’10°13’ spart nicht mit
veritablen Hooklines der Traditionsmarke "Ohrwurm" (eingetragenes
Warenzeichen!) und immer, wenn die unvermeidlich schwirrenden
Mädchenchöre (hier in Person von Tina aus der wunderbaren
Good Heart Boutique) ihre Uuhs und Aahs ins Mikro hauchen, klingt
das alles tatsächlich, als hätte der alte Robert die
Meters gegen eine veritable Rockband vom Schlage der Stooges eingetauscht.
Dafür, dass Country, Rock und Pop auf diesem Album krachend
ineinander greifen, wie Zahnräder in einem Offroadgetriebe,
sorgte nicht zuletzt das Produzententeam Two Horses & Kaneoka
One, das schon mit den Alben von Bands wie The Audience, King
Khan, Mardi Gras.bb, The Great Bertholinis oder jüngst Bored
Man Overboard bewiesen hat, dass es weiß, wie's geht.
54°33’10°13’ klingt wie die unerhört
lang nicht gehörte Stimme eines guten Freundes am Telefon.
Man achtet auf jede Nuance und freut sich einfach. So kann Pop
weitermachen!
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